Selten hat man so erstaunliche Aufnahmen aus dem Bienenstock gesehen wie im neuen Tierfilm "Tagebuch einer Biene". Nur, musste es sein, dass die Insekten selbst erzählen?
Eine Rezension von Dagny Lüdemann
"Man sagt, der Winter kann sehr schön sein. Ich weiß nicht, ob das stimmt, weil ich ihn noch nie gesehen habe." So beginnt im Off eine Honigbiene, aus ihrem Leben zu erzählen. Die Kamera schwebt derweil über eine verschneite Alm. Unter einem Baum ein hölzerner Bienenstock. In rasanter Fahrt geht es auf den Eingang zu –und hinein.
Da sitzt im Dämmerlicht inmitten einer Traube aus Artgenossinnen auf wachsgelben Waben die Winterbiene, gesprochen von Schauspielerin Anna Thalbach. Sie ist eine der beiden Hauptdarstellerinnen im Tagebuch einer Biene, dem neuesten Werk des Dokumentarfilmers Dennis Wells. Ihr Schützling Bee, eine kleine Sommerbiene, wird erst noch schlüpfen.
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Damit ist der Ton der deutsch-kanadischen Koproduktion gesetzt, nämlich der von Bienen, die in diesem Film wie Menschen sprechen. "Ich wurde im Herbst geboren", sagt die Biene. Und: "Wir Winterbienen haben nur eine Aufgabe. Unser Volk über die lange froststarre Zeit zu bringen, in der nichts für uns blüht." Logik scheint im Film eine untergeordnete Rolle zu spielen – denn abgesehen davon, dass Bienen natürlich nicht sprechen und denken wie Menschen: Wie kann diese den Winter beschreiben, den sie nicht kennt? Und wer hat ihr erzählt, was ihr Job ist und dass draußen etwas blühen soll, wo sie doch noch nie den Stock verlassen hat?
Ein Bienenleben, wie es hätte sein können
So wird einem schnell klar: Die Erzählung nach einem Drehbuch von Heike Sperling und Dennis Wells ist schon deshalb fantastisch, weil die Perspektive einer allwissenden Insektenerzählerin selbstverständlich in der Natur nirgendwo vorkommt. Wer sich mit den Hintergründen des Films beschäftigt, merkt aber auch: Sie ist auch fantastisch, weil die mit biologischem Wissen gespickte Insektenbiografie viel mehr erzählt, als das Verhalten der Tiere nur dokumentarisch aufzuzeichnen.
Allein 16 Bienenstöcke hatte Kameramann und Makrofotograf Brian McClatchy für die Dreharbeiten bei sich zu Hause aufgestellt. Zwei Jahre Dreharbeiten – die Außenaufnahmen entstanden unter anderem im Bergischen Land, bei München und im Karwendelgebirge – brauchten Regisseur Wells und das Filmteam, um genug Material zu sammeln. Hinzu kam ein Jahr Postproduktion: Die Aufnahmen aus dem Innern des Stocks sind aufwendig nachbearbeitet. Spezialeffekte simulieren den Bienenflug.
Alles beginnt damit, dass die Königin mitten im Winter Eier legt –eines in jede der von Arbeiterinnen konstruierten Waben. Nach drei Tagen schlüpfen die Larven, Ammenbienen wie die Erzählerin versorgen den Nachwuchs mit Gelee Royale und verschließen die Waben mit einem Deckel. Dass das Drehbuch unter Beratung von Fachleuten entstanden ist, merkt man an der präzisen Beschreibung der Biologie in diesen Szenen. Weil vieles aus dem natürlichen Leben im Stock aus dramaturgischen Gründen weggelassen werden musste, leidet die Wissenschaftlichkeit im Ganzen aber doch ein wenig.
Während in der Wabe jedenfalls die Metamorphose zur flugfähigen Sommerbiene beginnt, sorgen die Ammen in der Brutkammer mit ihrem Flügelschlag für die optimale Temperatur und Feuchtigkeit.
Die kleine Bee schlüpft: eine Sommerbiene
Nach zehn Tagen schlüpft die kleine Sommerbiene, der Co-Star in diesem Film: Faszinierend nah, jedes Härchen gestochen scharf, verfolgt die Makrokamera, wie sich das Tier mit seinen kräftigen Mundwerkzeugen, den Mandibeln, durch den Deckel aus seiner Wabe beißt. Die Anna-Thalbach-Erzählerin wird sich in der Geschichte fortan nur noch um diese Biene kümmern, die sie "Bee" tauft. "Meine Biene schlüpft. Beim Schlupf wird keiner Biene geholfen. Sie muss es allein schaffen", säuselt die Amme. Wobei in der Natur, wie der bekannte Bienenforscher und Berater des Filmteams, Jürgen Tautz, im Gespräch mit ZEIT ONLINE bestätigt, nicht jede Jungbiene ihre eigene Babysitterin hat. In Wirklichkeit besuchen die Ammenbienen die Waben unsystematisch, um das nährende Gelee zu hinterlassen.
Aber das sind ja nur Details –und im Film gehen nun die echten Abenteuer los. Gespielt werden Amme und Bee dabei nicht durchgehend von denselben Bienen – es sind diverse Arbeiterinnen aus zahlreichen Völkern, die in ihre Rollen schlüpfen. Aber die sind ja auch eher stereotyp: Vor dem ersten Ausflug raus aus dem Bienenstock zeigt die Ältere der Jüngeren mit einem Schwänzeltanz den Weg zu den nektarreichen Blüten. Bienen können sich auf diese Weise sogar Route und Entfernung weitersagen. Hätte der Film einen Off-Sprecher gehabt, wäre an dieser Stelle Gelegenheit gewesen, noch etwas in die Tiefe zu gehen: Erstmals enträtselt wurde die Tanzsprache nämlich 1976 von dem Wiener Karl von Frisch, der später für seine Verhaltensforschungen einen Nobelpreis bekam.